Römer 1,18-32
Eine falsche Fährte?
Oft wird dieser Abschnitt des Römerbriefs als „Lasterkatalog“ bezeichnet. Das ist sicherlich nicht falsch – aber vielleicht führt uns dieser Titel zu Nebenschauplätzen, die uns von der eigentlichen Aussage ablenken? Denn wichtiger als eine bloße Auflistung mancher Verfehlungen, ist etwas anderes. Das zeigen der Text und sein Kontext: Was ist die Ursache für menschliches (und damit auch gesellschaftliches) Fehlverhalten? Und wie können wir frei davon werden (Röm 3+7-8)?
Evangelium auf die 1
Ab Vers 18 beginnt Paulus nach einigen Vorreden mit dem eigentlichen Brief. Er tut das nicht im luftleeren Raum. Das zeigen die sprachlichen Verbindungen von Vers 18 mit den Versen 16 und 17. In beiden geht es um alle Menschen (V. 16 „Juden“ und „Griechen“, V. 18 „Menschen“). Auch das Verb „offenbaren“ benutzt Paulus in beiden Teilen. Die Reihenfolge ist für Paulus eindeutig und für uns wichtig: Zuerst schreibt er von der Offenbarung von Gottes Gerechtigkeit und der rettenden Kraft des Evangeliums, dann erst von der Offenbarung von Gottes Zorn. Das passt zum übrigen biblischen Zeugnis: „Denn Gott hat seinen Sohn nicht in die Welt gesandt, dass er die Welt richte, sondern dass die Welt durch ihn gerettet werde“ (Joh 3,17). Die Rettung, das Evangelium, steht an erster Stelle.
Die beiden Seiten von Sünde
Ebenfalls noch in Vers 18 führt Paulus mit den Begriffen „Gottlosigkeit“ und „Ungerechtigkeit“ zwei Grundthemen ein, die er im Folgenden noch konkretisieren wird. Mit diesem Begriffspaar zeigt Paulus die Spannweite von Sünde auf. Auf der einen Seite stehen Verfehlungen gegen Gott bzw. dass Menschen Gott nicht ernstnehmen. Auf der anderen Seite all das Übel, das sich Menschen gegenseitig antun. In manchen Kontexten wird das eine auch als Konsequenz des anderen dargestellt (z. B. Spr 10,11). Für Paulus steht fest, dass ein solches Verhalten die göttliche Wahrheit verdunkelt oder ignoriert. Was mit „göttlicher Wahrheit“ gemeint ist, nämlich wer und wie Gott ist, steht in V. 19-20. Das lässt sich durch die Schöpfung und in der Schöpfung wahrnehmen. Als frommer Jude denkt Paulus hierbei nicht nur an die Schöpfung der Welt selbst, sondern auch an Gottes Taten in der Geschichte mit dem Volk Israel.
Die Ablehnung Gottes als „Herr von Schöpfung und Geschichte“ und die Missachtung dessen, was der Schöpfer seinen Geschöpfen zum Umgang miteinander aufträgt, findet seine Konsequenz in „Gottes Zorn“ (V. 18). Spannend ist die Beobachtung, wie Paulus uns diesen Zorn Gottes vorstellt. Es ist kein aktives Strafhandeln Gottes. Stattdessen lässt Gott den Menschen gewähren (vgl. das dreimalige „darum hat Gott sie dahingegeben“, V. 24+26+28), was dazu führt, dass der Mensch selbst die Strafe über sich bringt. Unter der Herrschaft von sich selbst zu stehen (d. h. unter der Macht seiner Begierden, seiner Leidenschaften etc.) und nicht unter der Herrschaft des barmherzigen Gottes, ist der Grundcharakter von Sünde.
Wo beginnen? Bei mir selbst!
Dass wir alle (V. 18) unter der Sünde leiden und durch die Kraft Gottes daraus gerettet werden müssen (V. 16), ist die Zielrichtung des Textes und des größeren Abschnittes (vgl. 3,21-5,21). Manchmal stehen wir in der Gefahr, einzelne Verse besonders zu betonen (z. B. V. 27-28). Doch sollten wir uns nicht zuerst die Worte aus Kapitel 2,1 zu Herzen nehmen? Wo blicke ich richtend auf andere, statt selbst reinen Tisch vor Gott und mit meinen Mitmenschen zu machen? Der „Lasterkatalog“ von Paulus kann dabei ein Startpunkt sein – aber noch lange nicht das Ende. Weiter geht es mit den Worten Jesu aus der Bergpredigt
(Mt 5+6), die uns helfen zu erfahren, wie Gott sich unser Leben vorstellt. Der ernste Tonfall von Paulus aus unserem Abschnitt gilt in besonderer Weise für die Worte Jesu: „Wer an den Sohn glaubt, hat ewiges Leben; wer aber dem Sohn nicht gehorcht, wird das Leben nicht sehen, sondern der Zorn Gottes bleibt auf ihm“
(Joh 3,36).
Fragen zum Gespräch
- Welche Grundstimmung hören nichtglaubende Gäste, wenn sie in unseren Hauskreis kommen oder sonntags den Gottesdienst besuchen: Gottes Gnade und Gerechtigkeit oder Gottes Zorn?
- In welchen Bereichen unseres Lebens fällt es uns schwer, Gott mehr zu vertrauen als uns selbst? Was sind unsere „Bilder von Vögeln und vierfüßigen Tieren“ (V. 23)
oder anders gesagt: Was sind unsere Götzen? Harmoniebedürftigkeit, mein Fitnesslevel, ein üppiger Jahresurlaub oder die Weigerung, meinem Arbeitskollegen seine Launen zu vergeben? - Wo entdecken wir Gottes Wirken (V. 20) in unserer Gemeinde und in unserem Ort?
Lieder: GL 319, FJ Best of 105 Gott vor allen Zeiten