Die richtige Musik zum Weihnachtsfest
„Bach – Ein Weihnachtswunder“
2024 traf die ARD einen Nerv. Gut 4,8 Millionen Menschen haben sich den musikalisch-
historischen Spielfilm „Bach – Ein Weihnachtswunder“ mit Devid Striesow in der Hauptrolle angeschaut. Bach und Weihnachten, das verbindet Jung und Alt bis heute. Dass der Film mit Themen wie Gleichberechtigung, Elternzeit und Inklusion der Situation Bachs wenig gerecht wird – geschenkt. Die Menschen hören Bach, und das ist gut so.
Jauchzet, frohlocket – jauchzet ihr Menschen!
Warum geht bei uns die Weihnachtstür auf, wenn wir von Johann Sebastian Bach hören? Es klingt und singt in uns. „Jauchzet frohlocket“ – der Eröffnungschor des Weihnachtsoratoriums (WO) führt uns sofort in die Mitte von Weihnachten. Wer hier das Wunder bei Bach sucht, hat jedoch nicht ansatzweise verstanden, worin das eigentliche Wunder besteht. Bach weiß es. Und er tut alles, damit das lauschende Volk sich nicht an der Musik, sondern an dem menschgewordenen Gott entzückt. Sechs Kantaten bilden ein Gesamtwerk, ein Oratorium (orare = beten; Oratorium = Gebetsraum, kleine Kapelle). Begonnen wurde im Jahr der Erstaufführung (1734/1735) mit dem 25. Dezember. Die sechste Kantate beschließt den Zyklus am 6. Januar, dem Erscheinungsfest.
So kann jede Musik,
jeder Klang
zu einer „geistlichen“ Musik werden.
Alles beginnt mit der Freude, mit dem „Jauchzen“, dem großartigen Eingangschor. Es war zu Bachs Zeiten „Gang und Gebe“, dass man Musik kopierte und in einen neuen Zusammenhang setzte. Dahinter steckt die Überzeugung, dass Musik an sich nicht „weltlich“ oder „kirchlich“ sein kann. Töne, Harmonien, Rhythmen und Melodien unterliegen der Schöpfungsordnung Gottes. Sie klingt hier wie dort zuerst einmal gleich. Jede Musik ist Schöpfung, durch die Gesetzmäßigkeiten von Physik und Akustik erklärbar. Der Unterschied liegt in der Haltung des Komponisten und insbesondere der Textdichtung. Wenn Musik zum Träger einer Botschaft wird, dann ist es wesentlich, was gesagt werden will. So kann jede Musik, jeder Klang zu einer „geistlichen“ Musik werden. Bach lebte in einer Zeit, in der seitens des Adels viele Huldigungskompositionen in Auftrag gegeben wurden. Bach komponierte im Jahr 1733 eine Musik zum Geburtstag der sächsischen Kurfürstin und polnischen Königin Maria Josepha. Heute geht man davon aus, dass er schon damals im Sinn hatte, diese Musik der Weihnachtsmusik zuzuordnen. Man nennt dieses Vorgehen eine „Parodie“.
| Original Tönet, ihr Pauken! Erschallet, Trompeten! Klingende Saiten, erfüllet die Luft! Singet itzt Lieder, ihr muntren Poeten! Königin lebe! Wird fröhlich geruft! | Weihnachtsoratorium Jauchzet, frohlocket, auf, preiset die Tage Rühmet, was heute der Höchste getan! Lasset das Zagen, verbannet die Klage, Stimmet voll Jauchzen und Fröhlichkeit an! |
Hoffentlich stürzt nicht das Bachbild eines fünften Evangelisten bei uns ein, wenn wir entdecken, dass J.S. Bach in den Teilen I-V nach heutiger Kenntnis 22 Parodien angewandt hat. Im Gegenteil: Wir sollten davon lernen: Das Beste in der Welt ist gerade gut genug, um es für den Lobpreis und die Anbetung unseres Herrn einzusetzen. Für Bach war dies eine Selbstverständlichkeit. Wir leben nicht in zwei Welten – sondern in der einen Welt Gottes. Und dort gilt es, nach den Ordnungen der Welt zu spielen und gleichzeitig dem Höchsten zu dienen.
Persönliche Einblicke eines Kirchenmusikers, Komponisten und Verkündigers – Friedemann Meussling:
Friedemann, als studierter Kirchenmusiker ist dir das Weihnachtsoratorium praktisch in die Wiege gelegt worden. Welches Einzelstück des Oratoriums ist dir besonders wertvoll?
Ein „Einzelstück“ zu benennen, ist schwierig, denn es ist ja ein Gesamtkunstwerk, das so eindrücklich und einzigartig die Weihnachtsgeschichte musikalisch erzählt. Für mich war schon immer der Choral „Ich steh an deiner Krippen hier“ in seinem Text und seiner musikalischen Bearbeitung prägend. Ich kann mich noch gut erinnern, dass es immer besondere Momente waren, wenn wir während meines Studiums im Dom von Greifswald das „WO“ gesungen haben und dann dieses Lied kam. Emotional war das immer ein Höhepunkt, den man nicht vergisst. Ich liebe vor allem die Innigkeit und Nähe zu Gott, die dieses Lied vermittelt. Für mich eines der großen Anbetungslieder der Kirchengeschichte.
Seit Jahren veranstaltest du Großkonzert mit Worship Symphony. Auch 2025 wird es wieder Weihnachtskonzerte (13.12 in Wetzlar, 20.12 in Ludwigsburg) geben. Was verbindet dich bei diesem Vorhaben mit Johann Sebastian Bach?
Beides: Exzellenz und Verkündigung durch die Musik, die nicht nur ein Gemeinde-Publikum, sondern auch Menschen mitten aus der Gesellschaft erreicht. Das ist die Vision für unsere Konzerte mit der Worship Symphony. Für Bach stand meines Erachtens nicht die Musik, sondern die Verkündigung durch die Musik im Fokus. Seine Kompositionen sind immer eine Auslegung der Texte und begeistern mit Vielfalt und Innovation. Musik ist und bleibt gerade auch zu Weihnachten einer der wichtigen Schlüssel, um Menschen diese wunderbare Botschaft des Kommen Jesu zu vermitteln. Das wollen wir in aller erster Linie durch unsere Konzerte erreichen. Dazu gehen wir in große öffentliche Hallen und investieren viel in Qualität und Vielfalt. Einer unserer Techniker, der viele große Konzertveranstaltung betreut und mischt, meinte neulich: „Ihr spielt mit dem, was ihr macht, hier in Deutschland in der Oberliga.“ Ich glaube, dass es richtig und gut ist, dass wir für Gott das Beste geben. Aber ich glaube auch, dass dies nicht das Entscheidende sein darf, sondern dass die Menschen, die zu den Konzerten kommen, aber auch wir selbst die gemeinsam musizieren, Gottes Berührung erleben. Johann Sebastian Bach hat über Jahrhunderte hinweg durch seine Musik und vor allem auch durch seine Oratorien und Kantaten in exzellenter Weise das Evangelium verkündigt und unzählige Menschenherzen berührt. Er hat damit nicht nur „frommes“ Publikum, sondern die ganze Gesellschaft über Generationen hinweg erreicht. Ich bin in der damaligen DDR aufgewachsen und das Weihnachtsoratorium, aber auch die Passionen von Bach gehörten offiziell zum kulturellem Erbe. Selbst in Zeiten, in denen es schwierig war, das Evangelium öffentlich zu verkündigen, strahlte die Verkündigung Bachs durch seine Musik weiter und wurde „unzensiert“ mit stolz auf dieses Erbe überall in der DDR, auch in den Parteizentralen gespielt. Von einem ehemaligen Diplomaten weiß ich (er hat mir das persönlich erzählt), dass er durch die Johannespassion tief berührt wurde, zum Glauben fand und danach ein brennender Evangelist wurde.
Du siehst deine Konzerte als Chance, geistliche Musik in dieser Welt zum Klingen zu bringen. Kannst du uns von einem Erlebnis erzählen, das dich besonders berührt, wenn du an die Wirkung deiner Konzerte denkst?
Es gibt viele ermutigende Berichte von Konzertbesuchern, aber auch von teilnehmenden Musikern. Eines dieser Feedbacks werde ich nicht vergessen. Bei einem unserer ersten Konzerte der Worship Symphony spielten Musiker der Bamberger Philharmoniker mit u. a. auch der Solokontrabassist. Nach dem Konzert kam er zu mir und meinte: „Ich habe schon in allen großen Konzerthäusern dieser Welt und alle bekannten Werke gespielt, was ich aber heute hier erlebt habe, dass kenne ich so nicht. Was ist das, diese unfassbare Atmosphäre – die Musik und außergewöhnlichen Arrangements können es nicht gewesen sein.“ Die Mischung aus Pop, Klassik, Hip-Hip und „Worship-Musik“ macht diese Konzerte so einzigartig. Junge Leute, die wegen dem „Worship“ mit Juri Friesen kommen, berichteten davon, wie sie gerade bei den Arien von Johann Sebastian Bach berührt wurden und weinen mussten. Ein Zeugnis dafür, dass immer mehr erleben, dass auch die wunderbare Musik unserer Vorfahren tiefe geistliche Anbetungsmusik ist.
Jesus – wie soll ich dich empfangen?
Wir lauschen noch einmal in den ersten Teil des WO (bei Min.16 beginnend):
Zu Bachs Zeiten setzten sich die Lieder Paul Gerhards durch. Sie waren die Popsongs damaliger Zeit und ermöglichten den Menschen, ihren persönlichen Glauben im Lied zum Ausdruck zu bringen. Wir müssen immer bedenken: Es gab nur wenige Liederbücher, keine andere Verteilmedien. Bach war am Puls der Zeit – wenn man so will, der Popmusiker des Barock. Er holte nicht nur die Musik, sondern auch die gern gesungenen Lieder seiner Zeit in das Weihnachtsoratorium hinein.
Das schöne Adventslied „Wie soll ich dich empfangen“ wird in allen Generationen gesungen. Paul Gerhard stellt darin die Frage aller Fragen: Wie kann ich dich, Gott, in meinem Leben begrüßen und aufnehmen? Die Antwort findet sich schon in der ersten Strophe. Heute würde man es vielleicht so übersetzen: „Jesus, du musst die Fackel in uns anzünden. Und zwar so, dass es sich mir erschließt. Nur dann kann ich dich als Gott erkennen.“ Du in mir – nicht ich durch dich. Das ist ein kleiner, aber ein wesentlicher Unterschied. Denn Gott ist der Handelnde. Er macht mich bekehrt, nicht ich bekehre mich. Welche Melodie passt zu dieser Botschaft? Es ist nicht die schwungvolle Melodie Johann Crügers, sondern die Melodie des Liedes „O Haupt voll Blut und Wunden“, aus der Feder Hans Leo Haßlers. Ob die Verknüpfung der Liedinhalte gewollt ist, sei dahingestellt. Schon allein die Melodieführung entspricht der geistlichen Grundaussage: Die Bewegung der Melodie geht von oben nach unten. Gott wendet sich uns zu. Es ist die Voraussetzung dafür, dass ich Jesus empfangen kann. Nicht ich komme zu ihm, sondern er kommt zu uns. Darin besteht das Wunder von Weihnachten: Gott kommt zu uns. Natürlich sind es die Hirten und die Weisen aus dem Morgenland, die zu Jesus kommen. Unser Hingehen setzt jedoch sein Kommen voraus. Unsere Hinwendung zu ihm braucht die entsprechenden Botschafter, damit wir es zu unserer Sache machen: „Er in mir und ich in ihm.“ Ich bin der Meinung, dass J. S. Bach hier – wie so oft – Musik und Theologie genial zur Musikverkündigung zusammenkomponiert hat.
Ich steh an deiner Krippen hier
Heute wäre es dieses Lied, das wir an den Schluss des Weihnachtsoratorium setzen würden. Aber die Weihnachtsgeschichte endet nicht mit der Anbetung des Gottessohnes, sondern mit der Flucht vor den Verfolgern des Herodes. Der Feind, die Sünde, der Tod, der Teufel mag uns verfolgen – aber alle vier Solisten singen (nur hier) gemeinsam: „Was will der Höllen Schrecken nun, was will uns Welt der Sünde tun, da wir in Jesu Händen ruhn?“ Und der Gemeinde wird der Schlusschoral in den Mund und ins Herz gelegt und endet: „Denn Christus hat zerbrochen, was euch zuwider war.“ Das Weihnachtsoratorium endet in D-DUR. So wie es begonnen hat. Und es endet mit Pauken und Trompeten, den himmlischen und endzeitlichen Instrumenten der Bibel. Es sind die gleichen Instrumente, mit denen zu Beginn das „Jauchzet, frohlocket“ angestimmt wurde.
Ein besonderes Geschenk zu Weihnachten …
… ist für mich die Arie „Großer Herr“ im ersten Teil des Weihnachtsoratoriums. Sie wird vom Solistenbass gesungen. Es ist erhebend, wenn die kräftigste Männerstimme, vollumfänglich und im Basston den Lobpreis anstimmt. Es ist die Stimme eines irdischen Herrschers und Anführers. Er ordnet sich dem Neugeborenen unter: „Liebster Heiland!“ Der Herrscher des Himmels und der Erde, hat sich seiner eigenen Macht entledigt (Phil 2) und zeigt, wie Macht ausgeübt wird: Indem er sich herabgibt. Macht ja, Unterdrückung nein. Das Ganze wird musikalisch interpretiert, indem immer wieder ein Dreitonschritt komponiert wurde: „Gro“- „ßer“ – „Gott“: Markierende Töne, die im Weihnachtsgeschehen den dreieinigen Gott eingravieren.
Hier kann man eine Aufnahme dieser Arie von J. S. Bach, aufgenommen beim letzten Worship Symphony Konzert in der MHP-Arena Ludwigsburg, miterleben:
Zwei Empfehlungen machen wir zum Schluss. Die Wichtigste: Nutzen Sie die Gelegenheit, wenn das „WO“ aufgeführt wird. Nicht ersetzbar sind gottesdienstliche „Aufführungen“. Aber auch Konzerte mit dem Gesamtwerk erschließen sich neu, wenn man die Dimensionen zwischen Musik und Theologie neu erkennt.
Und wenn wir das Herz darin aufschließen, dann erleben wir, wie der Heilige Geist selbst zu uns spricht, und Jesus Christus uns begegnet.
Die zweite Empfehlung ist ein Link. Seit 2006 baut die J. S. Bach-Stiftung eine Plattform auf, in welcher alle Werke Bachs bis 2027 eingespielt werden, dort gestreamt werden und Einführungen zu den Werken miterlebt werden können. Dies alles ist kostenfrei zugänglich. Einfach grandios.
Matthias Hanßmann und Friedemann Meussling
P.S.: Herzliche Einladung zu unserer Bach-Freizeit Ostern 2026 https://freizeiten.die-apis.de
