02/2025-03/2025

Montagmorgen, drei Kreise und ein Aha-Moment

Sternstunden sind Momente, die diese Welt verändern. Der Buchdruck, die Mondlandung oder die Erfindung des Internets sind solche Sternstunden. Im Herbst des Jahres 2001 erlebte ich selbst so eine Sternstunde – im wahrsten Sinne des Wortes. Gerade hatte ich mein Studium an der Missionsschule in Unterweissach begonnen. Ich hatte das große Glück, noch ein Jahr bei Siegfried Kettling zu studieren, dem faszinierenden Theologen, der es mit seiner anschaulichen Art verstand, schwere Themen herunterzubrechen.

Und so sitze ich im Montagmorgenmüdigkeitsmodus im Lehrsaal: Neues Testament … Bergpredigt. Dass dieser Vormittag mein Glaubensverständnis revolutionieren wird, ahne ich zu diesem Zeitpunkt noch nicht. Denn irgendwie denke ich: Bergpredigt? Kenn ich! 3 Kapitel, die alles Mögliche von mir fordern, wenn ich anständig mit Jesus leben will. Und die Erkenntnis: „Salz und Licht? Bin ich oft nicht.“ – „Feindesliebe? Du meine Güte.“ – Almosengeben? Schön wär’s gewesen …“ Viel zu oft schon habe ich erkannt, dass ich den Ansprüchen, die Jesus an seine Nachfolger stellt, nicht gerecht werden kann. Also: Was soll da noch kommen? Noch dazu am Montagmorgen …

Aber irgendwie schafft es Siegfried Kettling, mich aus meiner Montagmorgenlethargie zu reißen – mit einer einfachen Zeichnung, die mein Glaubensverständnis revolutionieren wird. Er malt drei konzentrische Kreise auf die Tafel und sagt sinngemäß: „Die Bergpredigt ist nicht von vorne nach hinten zu verstehen, sondern von innen nach außen.“

Ich merke, wie meine Kurskollegen und ich (es ist Montagmorgen …) nicht verstehen, was Kettling meint. Aber nach und nach ahne ich, welche Dimension sich hinter diesem Satz eröffnet. Denn im Zentrum der Bergpredigt (Kapitel 6), also der Mitte von Jesu längster Rede, geht es ums Gebet – um unsere Beziehung zu Jesus. Von dort her sind Jesu Forderungen der Bergpredigt zu verstehen. Und nur von dort her sind sie auch zu bewältigen. Denn dort hat mein „Ich-schaff-es nicht!“ seinen richtigen Platz. Hier darf ich das Leiden an meiner Unvollkommenheit zur Sprache bringen. Bei Jesus darf mein Leben ehrlich sein. Jesus gebraucht das Bild des Kämmerleins als Ort des Gebets. Damals ein Raum im Inneren des Hauses – ohne Fenster, eine Art Vorratskammer. Keiner hört und sieht mich – außer Jesus.

An diesem Morgen begreife ich: Nachfolge gelingt nicht aus mir heraus, sondern aus der tiefen Vertrautheit mit Gott, die sich im Gebet vollzieht und mich verändert, damit ich Salz und Licht sein und meine Feinde lieben kann.

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