Wo bin ich denn hier gelandet? – Wer sich als religiös unbedarfter Zeitgenosse in einen Lobpreisgottesdienst verirrt, kann ziemlich skurrile Erfahrungen machen: Da wird befremdlich häufig vom „König“ gesungen, ständig steht jemand „vor dem Thron“, man „kämpfe“ sogar „für sein Schwert“. Man feiert seinen Sieg. Man krönt ihn und ruft „Crown him!“. Man trinkt aus Tassen mit der Aufschrift „Königskind“. Motivlich bewegt man sich irgendwo im diffusen Niemandsland zwischen „Herr der Ringe“ und „Prinzessin Lillifee“. Das royale Metaphern-Feuerwerk erinnert mehr an die Welten von Fantasy und alten Märchen als an biblische Texte.
Postmoderne Königs-Euphorie
„Moment!“, mag schnell jemand einwenden: Es gibt doch so viele Königsaussagen der Bibel: nicht nur über König David, sondern über Gott als König und Jesus als König. – Ja, genau. Darum geht es. Die Königs-Linie ist in der Tat eine Spur, die sich durch die Schriften des Alten und Neuen Testaments hindurchzieht, nicht die einzige, aber ein wesentliche. Auch traditionelle Pietisten singen schließlich den großartigen Hiller-Choral: „Jesus Christus herrscht als König.“ Allerdings: In der Bibel wird auch sehr kritisch die Königssehnsucht der Menschen angesprochen. Die Leute wollen einen König. Das Volk will einen Führer. Dieser Herrscherkult ist eine sozial-ideologische Versuchung von biblischen Zeiten bis in die Gegenwart. Die große Sehnsucht nach Leadership. Für die Masse die Chance, Helden zu kreieren und zu feiern – für die Verehrten die Verlockung, in schier unangreifbare Machtpositionen zu gelangen. Hier lässt sich eine Linie ziehen von 1. Samuel 8 über neo-evangelikal-autoritäre Leitungskonzepte bis zu Donald Trump: „Make our people great again!“ („Mach unser Volk wieder groß!“). Letzteres ist ein zutiefst heidnischer Wunsch.
Darum im Folgenden eine kleine Reise, die uns hinter den subtilen Königskult in postmodernem Gewand sehen und dabei eine zutiefst menschliche Königssehnsucht entdecken lässt. Dann betrachten wir das Bild, das die Bibel von einem guten König zeichnet, und kommen schließlich zu politischen Entwicklungen in Geschichte und Gegenwart.
Es ist die Sehnsucht nach einem sichtbaren König, der als Gottesvertreter verherrlicht werden und – wenn er scheitert oder manchen missfällt – auch gemeuchelt werden kann.
„Gib uns einen König!“
Mehr als tausend Jahre vor Christus: Da ist der Wunsch des Volkes: „Setze einen König über uns, der uns richte, wie ihn alle Völker haben.“ (1Sam 8,5). So treten sie an den alten Samuel heran, der bis jetzt als Richter die Geschicke Israels geleitet hat. Ohne Königstitel, ohne Königskult, ohne Königsherrlichkeit. Der König wird in vielen Völkern der Antike der göttlichen Sphäre zugeordnet. Das ist in Ägypten ebenso der Fall wie in Babylon, Persien oder später in Rom. Der König steht über allen anderen Menschen. Ein Mensch höherer Ordnung in quasi-göttlichem Rang. Er ist gottgleich. Ihn kann man sehen und verehren. Ihm kann man folgen. Mit dem Königtum kann man Macht absichern und Massen manipulieren. Es gibt eine merkwürdige Sehnsucht der vielen, sich zu unterwerfen unter einen, den sie nicht als ihresgleichen ansehen. Königskult hat immer eine religiöse Dimension.
Ein schlichter Richter und Gott als König
Ganz anders war es anfangs in Israel: Einer ihresgleichen hat das Volk geleitet. Er war ein schlichter Richter. Zum Beispiel Samuel. Er war „the normal one“, ein „Normalo“, einer wie alle anderen – der allerdings auf Gottes Stimme gehört hat. Hörend war er und gehorsam. Jedoch: Das Feeling hat gefehlt. Die Sichtbarkeit. Die Spürbarkeit. Es ist die Sehnsucht nach einem sichtbaren König, der als Gottesvertreter verherrlicht werden und – wenn er scheitert oder manchen missfällt – auch gemeuchelt werden kann. Einen König kannst du feiern und im Zweifel auch ermorden. Historische Beispiele gibt es in Hülle und Fülle. Das geht bei Gott nicht, und es ist bei einem Richter, der nicht als Person, sondern vielmehr in seiner Funktion für das Recht eintritt, auch weniger wirksam. Personenkult und Glaubensmüdigkeit fallen oft zusammen. Je höher ein König gepriesen
werden kann, desto kleiner kann der Glaube sein. Nur auf Gott und sein Wort zu vertrauen, seine Weisungen zu achten – all das erscheint zu wenig. „Sie haben nicht dich, sondern mich verworfen“, sagt Gott zu Samuel, „dass ich nicht mehr König über sie sein soll“
(1Sam 8,7).
Personalisierung und Personenkult in der Politik
In einer komplexen Welt wächst die Sehnsucht nach Eindeutigkeit und Klarheit. Für die Masse wird diese Sehnsucht aber kaum von politischen Programmen oder Konzepten erwartet. Letztlich neigt der Mensch dazu, sich auf Personen zu verlassen. Den starken Mann, die starke Frau. Mit Charisma. Mit Charme. Mit der Ausstrahlung von Macht. „Der soll es richten!“ Diese menschliche Neigung, sich gerne zu unterwerfen, Verantwortung und Denken zu delegieren, zieht sich durch die Geschichte.
Nicht immer sind die Folgen so fatal wie beim Führerkult des Dritten Reiches. Auch in demokratisch verfassten Monarchien lassen sich Grundzüge des Phänomens beobachten: Royaler Glanz und Glimmer begeistern England, Schweden, Monaco … und in der Regenbogenpresse weltweit. Was wären Mode- und Medienwelt ohne die königlichen Protagonisten! Märchen, Sagen, Romane, alte und neue Geschichten von Liebe und Tod, Macht und Geld, Krieg und Frieden bewegen die Menschen seit je her. Es geht schon immer um das „Spiel der Throne“ – „Game of Thrones“.
Die Sehnsucht nach dem starken Mann
In diese Gemengelage von Fantasie und Faszination, aber auch von Fanatismus und Fatalismus zeichnen sich aktuelle Entwicklungen. Selten war die Disruption in der Gesellschaft so tiefgehend wie heute. Es gibt neue kalte und heiße Kriege, Machtbalancen geraten aus den Fugen, die Welt verändert sich rasend schnell. Jahrzehntelange Sicherheiten gelten nicht mehr. Die Verunsicherung wächst an den Börsen und in den Herzen. Und mit ihr die Sehnsucht nach einem starken Mann. Es ist überhaupt die Zeit der großen starken Männer alter Prägung: Die Machos sind zurück in der Weltpolitik. Trump, Putin, Xi Jinping, Kim Jong-un, man denke weiter die Orbans, Erdogans oder Bolsonaros dieser Welt.
Die große Frage ist: Haben Liturgie und Politik, Lobpreis und Personenkult etwas miteinander zu tun?
Der König ist eigentlich ein Hirte: Er weidet die Schafe. Er sorgt für Gerechtigkeit und Recht. Er hilft den Elenden auf.
Der „König“ in der Bibel
Der Gottesdienst am Sonntag entscheidet immer darüber, wie wir den Gottesdienst im Alltag der Welt leben (vgl. Röm 12). In einer biblisch-reformatorischen Linie können wir folgende Kennzeichen festhalten:
- 1) Gott ist König. Er allein. In den JHWH-Königspsalmen (vgl. etwa die Psalmen 47; 93; 96; 97; 99) wird dies deutlich.
- 2) Darum braucht Israel eigentlich keinen König (vgl. 1Sam 8), aber Gott geht dennoch auf den Wunsch ein und gewährt die Einrichtung des Königtums in Israel. Auf Saul folgen David, Salomo und viele andere mit Licht und Schatten.
- 3) Damit wird die Verheißung eines Messias eingeführt. Sie relativiert das vorhandene Königtum und richtet es aus auf einen gerechten König, der kommen wird: der „Davidsohn“, ein Friedefürst, ein Spross aus der Wurzel Isais (vgl. etwa 1Mose 49,8ff.; 2Samuel 7; Jesaja 9,1-6; 11,1-9; Jeremia 23,5)
- 4) Der König ist eigentlich ein Hirte: Er weidet die Schafe. Er sorgt für Gerechtigkeit und Recht. Er hilft den Elenden auf. Nicht umsonst wählt Gott den Hirtenjungen David zum König, nicht einen der starken Brüder. Das eigentliche Königtum ist ein Hirtendienst (vgl. Psalm 23; 72; Hesekiel 34,23-31; 37,24-28).
- 5) In dieser Linie erscheint Jesus, der Messias, der Sohn Gottes und Davidsohn, als guter Hirte, der zugleich der König vom Kreuz wird. Das Johannesevangelium führt das aus (Johannes 10; 18 und 19), insbesondere in der Passionsgeschichte, in der Jesu Weg ans Kreuz alle Stationen einer antiken Königseinsetzung durchläuft und am Ende über seinem sterbenden Körper für alle Welt sichtbar zu lesen ist: „Jesus von Nazareth, König der Juden“.
Nichts mit „Jesus Christ Superstar“!
Diese nur kurz angedeutete Linie hat nichts, aber auch gar nichts mit der Königssehnsucht und den Königskulten aller Zeiten zu tun. Im Gegenteil: Jesus lässt sich nicht feiern wie die Kings in England oder Monaco, Rohan oder Westeros, nicht wie die Stars und Sternchen dieser Welt. Er hat sich nicht zum Anführer eines jüdisch-nationalen Aufstandes ausrufen lassen, auch wenn der Zelot Judas das wollte. Auch die Offenbarungstexte geben es nicht her, Jesus als Superstar zu feiern. Er ist der Hirte! Sein Platz ist nicht auf der Bühne, sondern am Boden. Bei den Geringsten und Schwachen. Sein Reich ist nicht von dieser Welt und doch ganz bodenständig, geerdet, den Menschen dienend.
Management-Habitus und Macht-Status
Mein Eindruck ist: Vieles in den Bildern postmoderner Lobpreisrhetorik atmet mehr den Geist zutiefst menschlicher Königs- und Machtfantasien als den Geist des guten Hirten, der allen dient und Gerechtigkeit sucht. Es gibt so etwas wie eine Royalisierung und Romantisierung des Glaubens. Manche neo-evangelikale Pastoren verstehen sich als Church-Leader, „Leiter“ mit Management-Habitus und Macht-Status. Sie sind die unangefochtenen CEOs ihrer autoritär geführten Gemeinden. Die Leitungen mancher Mega-Churches gleichen Dynastien: Wenn der Vater als Leader abtritt, wird der Sohn auf den Thron gehoben. Eine ständig zelebrierte Königsidee, eine auf Jesus projizierte zutiefst menschliche Königsverherrlichung dient dazu, ideell den sehr realen Machtstatus der Leiter – es sind zumeist Männer – zu stützen. Sie treten an die exklusive Machtposition, die in manchen alt-etablierten Kirchen etwa römisch-katholischer, lutherischer oder anglikanischer Konfession durch ein überhöhtes Bischofsamt abgesichert wurde. Das alles sind Ideen und Versuchungen, die auch der Gnadauer Welt nicht fremd sind.
Eine neue unselige Verbindung von Thron und Altar
Was sich im Leitungsverständnis der Gemeinde auswirkt, wirkt auch in die Politik hinein. Es wundert nicht, dass es eine neue Verbindung von Thron und Altar gibt: Die weißen Evangelikalen in den USA von Franklin Graham bis Paula White feiern Trump, die orthodoxen Patriarchen befeuern Putins Kampf für ein russisches Großreich, auch Bolsonaro in Brasilien hatte und hat viele „fromme“ Anhänger aus Pfingstkirchen, aber auch aus dem Luthertum. Person steht über Programm. Das liegt im Trend. Auch in Deutschland. Wer hätte etwa gedacht, dass eine Partei, die den Namen einer von einem kommunistisch-populistischen Ideen-Mix geleiteten Ikone trägt, aus dem Stand in Parlamente einzieht?
Nachfolge als Königsweg
Was aus alledem folgt: Wir sollten neu entdecken, welch ein König Jesus ist. Diesen König ehren wir, den König, der Hirte ist – und das, ja, auch im Lobpreis. Der König, vor dem sich einmal alle Knie beugen werden, kniet sich selbst in den Staub der Welt. Seine „Erhöhung“ ist keine Party, sondern findet am Kreuz statt (Joh 12; 18f.). Wer ihm folgt, sucht der Stadt Bestes, setzt sich für Schwache, Bedürftige, Heimatlose, Ausgegrenzte und Diskriminierte ein. Verkündigend, diakonisch und politisch. Wenn wir diesem dienenden Hirten folgen, gehen wir den Königsweg.