02/2025-03/2025

Haefele fragt sich …

Die Bergpredigt – Utopie oder Lebensanweisung?

Die Bergpredigt gehört sicher zu den Texten, die mit am stärksten das Bild von Jesus geprägt hat. Dabei polarisiert sie bis heute. Die einen können sich vor Begeisterung kaum halten und wollen sie gerne als eine Art Verfassungstext sehen und behandeln. Die anderen fremdeln eher mit ihr und fragen sich, wie vieles von dem, was dort gesagt ist, überhaupt lebbar sein soll. Ich stehe irgendwo dazwischen. Manchmal sehr fasziniert, dann wieder sehr herausgefordert und manchmal auch überfordert. Das mit der „anderen Wange“, zum Beispiel, stresst mich.


Die Geschichte der Bergpredigt-Auslegung ist voller merkwürdiger Interpretationen: Manche sahen darin ein politisches Manifest, andere eine unmögliche Forderung, um uns unsere Sündhaftigkeit vor Augen zu führen. Wieder andere verstanden sie als Gesetz für eine christliche Gesellschaft. Doch wie sollen wir die Bergpredigt heute verstehen? Als utopisches Ideal oder konkrete Lebensanweisung? Je länger ich darüber nachdenke, desto mehr frage ich mich: Vielleicht müssten wir die Bergpredigt noch mehr aus der Perspektive des Reiches Gottes betrachten.


Der Kern der Verkündung von Jesus war eben dieses geheimnisvolle „Reich Gottes“, das mit ihm schon angebrochen war. Aber, darauf wies er immer wieder mit Worten und Zeichen hin, es funktioniere nach völlig anderen Gesichtspunkten, als alles auf dieser Welt bekannte. Klar war dann auch, das Reich Gottes war in Jesus da, fand in ihm seinen Anfang, blieb aber eben auch immer noch ein Stück verborgen. Das gilt bis heute, denn es war und ist in dieser Welt nur manchmal erlebbar. Wir leben also sozusagen in einer Zwischenzeit: Gottes neue Welt ist zwar Realität, aber noch nicht sichtbar.


Die Bergpredigt ist also weder ein unerreichbares Ideal noch ein politisches Programm. Sie beschreibt, wie das Leben im Reich Gottes aussieht, oder mindestens aussehen wird. Gerade weil dieses Reich heute aber noch nicht sichtbar ist, lädt sie uns ein, schon jetzt danach zu streben. Natürlich können wir die radikalen Forderungen Jesu in dieser Welt nicht vollständig umsetzen. Aber wir können anfangen, in unserem Umfeld Zeichen von Gottes Reich aufzurichten: indem wir Feinde lieben, Versöhnung suchen und Barmherzigkeit üben. Es geht nicht um eine gesetzliche Erfüllung der Forderungen von Jesus, sondern um ein Erfülltsein von den Gesetzen, die im Reich Gottes, sichtbar oder nicht, heute schon gelten. Liegt vielleicht gerade darin die Hausforderung? Die Spannung auszuhalten zwischen dem „Schon jetzt“ und dem „Noch nicht“ von Gottes Reich. Und trotzdem nicht aufzuhören, zumindest eifrig danach zu streben, nach seinen Maßstäben zu leben.

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